Die Mauer, Panorama zum geteilten Berlin
Yadegar Asisi
Friedrichstraße 205, Berlin
November 1989. Als ich als Kind vor dem Fernseher sitze, habe ich noch nicht ganz verstanden, worum es den Menschenströmen, die sich in die Arme fielen und dichtgedrängt auf der Mauer standen, ging. Das Gefühl aber ist berührend. Etwas Großartiges war im Gange.
März 2016. Checkpoint Charlie. Lärmende Schulklassen, Touristen mit Mundschutz und Souvenirläden mit fragwürdigen Shoppinghighlights wie russischen Offiziersmützen und Gasmasken. Nachdem wir uns den Weg durch die Massen gebahnt haben, vorbei am Mauermuseum und an sich mit kostümierten Soldaten fotografierenden Touristen, stehen wir vor Asisis Berliner Panometer. Und siehe da, hinter dem Touristenmagnet steckt ein großartiges Kunstwerk.
Ein Herbsttag im Berlin der 80er
Asisi versetzt uns an einen Herbsttag im West-Berlin der 1980er. Wir stehen im alternativen Bezirk SO 36, die Berliner Mauer zum Anfassen nah. Mein Blick schweift vom Spätkauf über den überlebensgroßen Malboromann auf dem Werbeplakat hin zu besetzten Häusern, Punks und einer Wagenburg. Auf der anderen Seite des Betonkoloss‘ sehe ich den Todesstreifen mit Schäferhunden zugemauerte Fenstern und Wachposten, die ihr Fernglas direkt auf mich richten.
Das Riesenrundbild besteht aus einzelnen Fotografien, die der Künstler über Jahre hinweg inszeniert, fotografiert, teils malerisch bearbeitet und dann minutiös zu einem lebensgroßen Szenario, bei dem alle Perspektiven stimmen, zusammensetzte. Die Darstellung ist so detailreichen, dass ich mich für Stunden in der Gesamtkomposition verlieren könnte. Ein politisches Wimmelbuch für Erwachsene.
Unterstrichen wird das Gesamtkonzept mit einer Geräuschkulisse, von Erik Babak eigens hierfür komponierter Musik sowie historischen Einspielern; hierunter Kennedys legendäre Ich bin ein Berliner-Rede sowie der prominente Verhaspler Walter Ulbrichts „Niemand hat die Absicht eine Mauer zu errichten“ von 1961.
Davor und dahinter
An bis zur Decke bekritzelten Wänden im Eingangsbereich hängen die Wände voller Fotografien, die Zeitzeugen angefertigt haben und mit denen sie ihre ganz eigene Beziehung zur Mauer schildernd.
In einem separaten Raum berichtet eine Reportage von der Arbeit Asisis. Hier wird deutlich, dass es sich bei dem Panometer nicht (nur) um eine Touristenattraktion handelt. Yadegar Asisi wurde im Iran geboren, wuchs in Ost-Berlin auf und reiste schließlich in den Westen aus. Damit arbeitet er seine ganz persönliche Erfahrung mit ein. Unter anderem bemalte er selbst damals ein Stück Mauer und integriert eine Abbildung von diesem Gemälde wieder an versteckter Stelle im Panometer.
Dresden, Rom und Amazonien
Asisi Gesamtwerk ist nicht auf die Mauer begrenzt. Weitere Werke finden sich unter anderem in Leipzig, Dresden, Rouen und Pforzheim – darunter Dresden 1945, Rom 312 und der Amazonas. Was die Arbeiten verbindet ist Asisis Methodik Er beobachtet, zeichnet, fotografiert und collagiert minutiös und detailreich.
DIY
Wer möchte, darf im Berliner Panometer selbst Mauermaler werden und mit bereit liegenden Markern Boden und Wände mit Zeichnungen, Liebeserklärungen und politische Botschaften bekritzeln. Das lasse ich mir nicht nehmen.
Außerdem ein Must-Have für die Hipster und Selfiejäger unter uns: ein Foto von sich in der Mauerkulisse wie im obersten Bild zu sehen. Hier ist nur eine Person echt. Die anderen gehören ins Werk. Einen authentischeren Ich war hier-Beweis gibt es nicht – jedenfalls nicht seit 1989.